Der Vorstand der Grünen Südost hat sich in seiner Sitzung am 21.5.2025 mit einer Frage befasst, die am 3.6.2025 in der Bezirksvertretung Südost zur Entscheidung vorgesehen ist: Die Umbenennung von Straßen, die 1939 im Nationalsozialismus ihren Namen erhielten, der Woermannweg und der Lüderitzweg.
In der Bezirksvertretung Mitte wurden jüngst Straßen umbenannt, die bereits direkt nach Ende des 2. Weltkriegs zur Umbenennung vorgesehen waren, weil die Nationalsozialisten mit den Namen deutschen Militarismus glorifizierten.
In Südost geht es um die nationalsozialistische Glorifizierung des brutalen Kolonialismus in Südwestafrika, der in den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts durch Deutsche mündete.


Lüderitz- und Woermannweg, beide mit verharmlosenden und irreführenden „Informationen“ versehen
Wer waren Lüderitz und Woermann?
Wir wissen, durch historische Forschung mittlerweile fundiert belegt, dass Adolf Lüderitz sich auf betrügerische Weise Land in Südwestafrika ergaunert hat und sich deshalb bereits zu seinen Lebzeiten den Beinamen „Lügenfritz“ einhandelte. Dass er die Kolonisierung in Afrika und die damit verbundene Misshandlung, Ausbeutung und Versklavung der einheimischen Völker betrieb.
Dies “… führte von eigenmächtiger Landnahme über die Entsendung kaiserlicher Schutztruppen bis zum Völkermord an den Herero und Nama in den Jahren 1904-1908, bei dem ein Großteil der betroffenen Bevölkerungsgruppen ermordet wurde.” (Quelle: https://www.stadt-muenster.de/strassen/a-bis-z; zu “Lüderitzweg”).
Der nach ihm benannten Stadt Lüderitz in Namibia ist in der Lüderitzbucht die Haifischinsel (jetzt Shark Island) vorgelagert, auf der im Jahre 1905 das erste deutsche Konzentrationslager entstand: Hier starben in hoher Zahl internierte Hereros und Namas, ein Mediziner machte mit Internierten medizinische Experimente, internierte Frauen mussten toten Internierten vom Kopf das Gewebe abschaben, damit die Schädel nach Deutschland verschickt und dort für rassentypologisierende scheinwissenschaftliche Untersuchungen genutzt werden konnten.
Die Schrecken des Nationalsozialismus nehmen hier bereits Gestalt an.
Wir wissen ebenfalls, dass Adolph Woermann, der damals größte private Reeder der Welt, seine wirtschaftlichen Interessen in Kamerun verfolgte, mit privaten Söldnern durchsetzte und Bismarck dazu drängte, sich aktiv in den damaligen Kolonisierungswettlauf der Kolonialmächte in Afrika zu engagieren, was dieser nach längerem Zögern dann auch tat. So warb er:
„Es liegt auf der Hand, dass in Afrika zwei grosse [sic] ungehobene Schätze sind: Die Fruchtbarkeit des Bodens und die Arbeitskraft vieler Millionen Neger.“ (Quelle: https://www.duesseldorf.de/fileadmin/Amt41-203/stadtarchiv/aktuell/200123Abschlussbericht_Strassennamen.pdf; siehe Seite 249)
Wir wissen auch, dass die über Jahrzehnte ausgebeuteten und misshandelten in Südwestafrika beheimateten Menschen (etwa 200.000) sich gegen die Unterdrückung aufgelehnt haben, zunächst 1904 das Volk der Herero (80.000 Menschen) und dann im gleichen Jahr das Volk der Nama (20.000 Menschen).
Zur Unterdrückung des Aufstandes wurden 14.000 Soldaten mit Ausrüstung und Verpflegung für die 4 Jahre der Erhebung nach Südwestafrika verschifft, mit Dampfschiffen des Herrn Woermann, zu einer bereits damals heftig kritisierten um das 30-fache überhöhten Frachtrate. Er hat die Logistik zur Verfügung gestellt, die zur Durchführung des ersten Genozids des 20. Jahrhunderts nötig war und bediente sich der Zwangsarbeit durch KZ-Häftlinge.
Nach dem Vernichtungsbefehl des für die Niederschlagung des Aufstandes entsandten Generalleutnant Lothar von Trotha hatten nach Niederschlagung der Erhebung 1908 lediglich 15.000 Hereros und 10.000 Namas den Genozid überlebt.
Und heute?
Wie notwendig die Aufarbeitung der lange verdrängten deutschen Kolonialgeschichte ist, zeigt eindrücklich der Vorfall anläßlich einer Parlamentarierreise von elf NRW-Landtagsabgeordneten Anfang Juli 2024 nach Namibia. Zweck der Reise war die “Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus” und die “deutsch-namibische Zusammenarbeit” zu befördern. Während die Delegation gemeinsam einen Kranz am Genozid-Mahnmal in Windhuk ablegte, wurde abseits davon vom AfD-Landtagsabgeordneten Sven Tritschler ein Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife am Grab des damaligen Mitglieds der deutschen kolonialen Schutztruppe Offizier Heldt auf dem Friedhof von Swakopmund abgelegt. Auf dem gleichen Friedhof in der Peripherie befinden sich in flachen namenlosen Gräbern die Gebeine von geschätzt 2000 Herero-KZ-Häftlingen und Zwangsarbeiterinnen. (Quelle: https://monde-diplomatique.de/artikel/!6059325). Geehrt mit dem Kranz wird ein Täter, nicht seine Opfer. Der Landtagspräsident André Kuper (CDU) rügte den AfDler Tritschler schriftlich: “Mit Ihrem Verhalten haben sie dem Ansehen des Landtags Nordrhein-Westfalen schweren Schaden zugefügt.”
Vor diesem Hintergrund befürwortet der Vorstand der Grünen Südost die Umbenennung der zwei Straßen im Vogelviertel von Gremmendorf. Die damit für die Anwohner der beiden Strassen verbundenen Mühen sieht der Vorstand als vertretbar im Sinne des Gemeinwohls und der gemeinsamen demokratischen Wertvorstellungen der Stadtgesellschaft an. Die Stadt unterstützt die Betroffenen umfänglich bei der Bewältigung notwendiger Formalien (siehe hierzu: https://www.stadt-muenster.de/strassennamen/oft-gefragt).
Wie die Stadtgesellschaft in Hamburg angemessen ihre Kolonialvergangenheit aufarbeitet, ist mit der am 2. Oktober 2024 durch den Senat beschlossenen Umbenennung von Strassen dokumentiert:
Der Woermannstieg ist nun der Cornelius-Fredericks-Stieg, nach Cornelius Fredericks (1864-1907), Person des Widerstands gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia und der Woermannsweg ist nun der Louisa-Kamana-Weg, nach Louisa Kamana (ca. 1878-1903), Opfer von sexualisierter Gewalt eines deutschen Kolonial-Händlers in Namibia. (Quelle: AMTLICHER ANZEIGER, TEIL II DES HAMBURGISCHEN GESETZ- UND VERORDNUNGSBLATTES, Herausgegeben von der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg, Amtl. Anz. Nr. 85, DIENSTAG, DEN 22. OKTOBER 2024)
Vorstand der Grünen MS-Südost
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